Ich bin - das Bewusstsein. Sensibel

Die kleinsten Teilchen des Universums verändern sich, wenn sie beobachtet werden. Tiere reagieren auf andere Lebewesen, sobald sie sie sehen. Die Menschen erleben die Welt zwar durch ihre Augen, aber auch durch den Blickwinkel, mit dem sie auf die Dinge schauen. Das weiß ich, das Bewusstsein, genau.
Professorin Cassie ist aus dem Urlaub zurück. Zwei Wochen erlebte sie Sonne satt, gutes Essen, Schwimmen im Meer, gut gelaunte Menschen. Für Social Media oder Nachrichten hatte sie keine Zeit. Nun kommt ihr die Heimatstadt hässlich und anstrengend vor. Normalerweise fährt sie gern weg und kehrt genauso gern zurück. Doch heute ist das anders. Sie ist von allem genervt. Die Nachrichten von Kriegen, Gewalt und Leid belasten sie. Ihre Aufgaben kommen ihr schwer vor. All die Probleme, für die es keine einfachen Lösungen gibt, gehen ihr im Kopf herum. Doch auch Staus und Verspätungen der S-Bahn nerven sie übermäßig. Die mürrischen, gestressten Gesichter der Passanten. Sie wünscht sich den einfachen Alltag eines Pauschalurlaubs zurück.
Wenn sie nur wüsste, was ich weiß. Die Urlaubs-Wochen haben sie entspannt und entschleunigt. Ihr Nervensystem ist empfindsamer geworden und kann mehr Nuancen wahrnehmen. Die Anspannung der Muskeln, die sie normalerweise vor der Wucht der Themen schützt, hat nachgelassen. Deshalb gehen ihr Ängste, Sorgen, Wut und Trauer näher als sonst.
Sie könnte jetzt ihre Muskeln festmachen und alles wegdrücken. Dann würde es ihr sofort besser gehen. Sie wäre regulierter und stabiler, aber ihr generelles Stresslevel, in Form von Herzschlag und Blutdruck, würde ansteigen. Sie kann sich allerdings auch auf die momentane Sensibilität einlassen und den Gefühlen Raum geben.
Cassie fängt meine Botschaft auf und atmet tief durch. Sie wendet sich wieder dem Nachrichtenmagazin auf ihrem Handy zu. Beim Lesen einer Nachricht wird sie traurig. Statt weiterzulesen und sich davon abzulenken, atmet sie bewusst ein und aus. Die Traurigkeit, die Menschen am anderen Ende der Welt gilt, entpuppt sich als Mitgefühl für deren Leid. Sie reagiert und spendet an eine Hilfsorganisation. Dadurch fühlt sie sich besser. Beim nächsten Artikel wird sie wütend auf die Mächtigen der Welt. Sie lässt die Wut im Atemrhythmus durch ihren Körper fließen. Da sie nicht direkt betroffen ist, kann nichts tun. Sie lässt die Wut und die Hilflosigkeit da sein und die Gefühle verlieren an Intensität.
Beim Lesen eines Artikels, der ihr Angst macht, fällt es ihr schwer, weiterzuatmen und hinzuspüren. Die Angst ist zu stark, Cassie kann ihr keinen Raum geben. Es ist ihre Art, sich zu schützen. Das ist völlig in Ordnung. Ihr Intellekt übernimmt das Kommando und sie liest, ohne ihren Atem zu spüren, weiter. Die Angst ist noch da, aber Cassie nimmt sie nicht mehr wahr. Cassie ist erleichtert. Gleichzeitig denkt sie, sie sei feige, weil sie sich von den Gefühlen abgewandt hat. Dabei hat ihr Nervensystem etwas gelernt. Sobald sie das nächste Mal entspannt genug sein wird, werden die schnelllebigen Gefühle mehr Raum bekommen. Cassie wird zunehmend Stress abbauen und resilienter werden.
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