Ich bin - das Bewusstsein. Selbstbild

Das Universum und die Erde brauchen keine Spiegel. Die Menschen haben sie erfunden. Dabei können sie sich auch ineinander spiegeln.

Jonas sitzt auf dem Sofa vor einem Weinglas. Sein Gesichtsausdruck ist gequält, sein ganzer Körper verspannt. Seine jüngere Schwester Cassie kennt ihn gut genug, um zu wissen, dass etwas vorgefallen ist. „Erzähl mir, was passiert ist.“

„Ich werde nicht mehr in die Tagesklinik gehen. Ich hasse diese Leute. Die Gruppentherapie ist das Allerletzte. Die haben mich in die Enge gedrängt mit ihren Fragen und Unterstellungen. Die tun so, als wollten sie mir helfen, aber in Wirklichkeit sind sie böse und wollen mich fertig machen.“

So hat Cassie ihren älteren Bruder schon lange nicht mehr gesehen.

Wenn sie nur wüsste, was ich weiß. Ihr Bruder ist emotional beim 35. Geburtstag ihres Vaters. Da waren sie 10 und 7 Jahre alt. Cassie fängt meine Botschaft auf. Sie erinnert sich an die Feier, bei der ein Freund der Familie sich über Jonas lustig gemacht hat.

„Hast du vor versammelter Mannschaft geweint?“, fragt sie.

Er sieht sie entsetzt an. Dann wird er rot. Er trinkt sein halbvolles Weinglas leer. „Die haben gemeinsam auf mir rumgehackt. Das war ungerecht und feige. Alle gegen einen.“

Cassie braucht nicht zu fragen, warum er geweint hat. Jonas ist nah am Wasser gebaut. Das haben ihr Vater und seine Freunde missbilligt, sogar verachtet. „Es geht gar nicht um die Leute aus der Gruppentherapie, oder? Es geht immer noch um Vater und seine Clique. Du hast nie in deren Männerbild gepasst.“

Es sieht sie erstaunt an. „Ich bin keine Heulsuse!“ Cassie wartet, ob er selbst drauf kommt. Dann fährt er fort: „Doch, das bin ich. Ich bin eine verdammte Heulsuse. Dieser Fiesling damals hatte recht.“

„Du warst feinfühliger als diese Typen. Ich mochte es, dass du in einem Moment sensibel warst und im nächsten Moment wieder stark sein konntest.“

Jonas seufzt. „Ich wollte nie weinerlich sein. Ich habe mir immer vorgestellt, wie stark und unnahbar ich auf Andere wirke.“

Cassie setzt sich zu ihm und legt ihm den Arm um die Schultern. „Meine Schul-Freundinnen fanden dich ungewöhnlich. Sie haben dich für deine weiche Seite angehimmelt.“

Er lacht plötzlich auf. „Ich dachte immer, sie mögen mich, weil ich so stark und männlich bin.“

„Fühlst du dich von deiner Gruppe ertappt?“

Jonas denkt lange nach. „Vorhin fühlte mich gedemütigt. Das wird mir jetzt erst klar."

„Das stammt aus der Erinnerung an Vaters Freunde, die dich für dein Weinen gedemütigt haben", fängt Cassie mein Wissen auf.

Er nickt. "Das macht Sinn. Ich habe mich oft gedemütigt gefühlt, wenn ich traurig war, aber jetzt gerade ist es anders. Denn in der Gruppe haben sie mich so angenommen, wie ich bin.

Cassie macht Musik an. „Boys don’t cry“. Die Band The Cure hat in den 1980ern schon gewusst, dass dieser Satz nicht stimmt. Die Geschwister singen und tanzen zu Songs, in denen es ums Weinen geht. Dadurch fühlt Jonas sich verbunden mit all den sensiblen Menschen auf der Welt, die mit einem alten Männerbild hadern.

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