Märchenprinzen für alle?
„Sobald ich zehn Kilo abgenommen habe, werde ich meinen Märchenprinzen suchen.“ Das schrieb neulich eine Frau auf Facebook.
Ich glaube nicht, dass frau schlank sein muss, um den Märchenprinzen zu finden, aber ich verstehe die Logik hinter diesem Glaubenssatz. Erst kommt die Arbeit, dann das Vergnügen. Erst abnehmen, dann glücklich werden. Alles ist kausal aufgebaut. Das habe ich schon als Kind gelernt. Wenn du aufgegessen hast, kannst du vom Tisch aufstehen. Wenn du groß bist, kannst du machen was du willst. Wenn du den Märchenprinzen finden willst, musst du sehr lange schlafen, scheintot von den sieben Zwergen bewacht werden oder einen Frosch küssen. Ich kenne kein Märchen, in dem es den Märchenprinzen ohne Bedingung gibt.
Am liebsten hätte ich unter den Post geschrieben: „Ob du abnimmst oder nicht, du kriegst deinen Märchenprinz. Jede Frau kriegt ihren Märchenprinz!“ Ich konnte es nicht schreiben, denn das glaube ich selbst nicht.
Warum glaube ich das nicht?
Weil der Märchenprinz ein unerreichbares Ideal ist. Ich kenne unglückliche Paare, traumatische Trennungen, Schmerz und Beschimpfungen, aber ich erlebe auch viele glückliche Ehen und Beziehungen, die schon Jahrzehnte lang halten. Haben diese Frauen und Männer ihre Märchenprinzen oder ihre Prinzessinnen gefunden? Wenn ja, sagen sie es nicht. Dabei wäre es doch eine gute Idee.
Wenn man auf Partys sagen würde: „Hallo, hast du meinen Märchenprinzen schon kennen gelernt?“ Und der Kollege antwortet: „Nein, aber ich habe schon viel von dir gehört. Darf ich euch meine Märchenprinzessin vorstellen?“
Wie gut würden wir uns alle fühlen? Wie geehrt, geliebt und wertgeschätzt.
Damit es überhaupt so weit kommen kann, müssten wir alle von klein auf glauben, dass jedes Mädchen eine Märchenprinzessin ist, die mit Leichtigkeit ihren Märchenprinzen findet. Das gilt natürlich auch für Jungs, diverse und alle möglichen Kombinationen.
Wenn alle kleinen Mädchen in einem festen Glauben an den Märchenprinzen aufgewüchsen, hätten sie einen ganz anderen Blick auf die Jungs und auf sich selbst. Sie könnten sich frei nach einem Partner umsehen. Jede wüsste, dass genug märchenhafte Partner da sind. Niemand ginge leer aus. Keine wäre zu hässlich, keiner zu schwach. Keine wäre besser oder schlechter als die andere. Niemand müsste abnehmen, Follower finden, die Brüste vergrößern lassen oder schlau tun. Alle wären es wert, ihren Märchenprinzen zu finden.
Mit dieser Grundhaltung würden wir auch bei Konflikten ganz anders reagieren. Man müsste den anderen nicht gleich in Frage stellen. Selbst Trennungen hätten einen anderen Unterton, wenn alle wüssten, dass ein neuer Märchenprinz auf die Frau wartet und der Ex für eine andere der Märchenprinz ist.
Das klingt verrückt? Vielleicht ist es das gar nicht. Wie wäre es, immer das Beste in dem Partner oder der Partnerin zu sehen? Das Märchenhafte der Beziehung zu betonen? Die Liebe im Alltag zu feiern? Vielleicht ist der Märchenprinz längst an deiner Seite ...
Was glaubst du? Schreib es in die Kommentare.
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